Text (Franz Zar) zur Ausstellung ,Broken Play‘ von Christoph Bruckner

gedruckt im Ve.Schheft Nr. 04


    Christoph Bruckner nützt seine Einzelausstellung im Ve.Sch, um eine neue Werkgruppe einzuführen,
    die Abstand nimmt von seinen bisherigen Strategien der wechselnd expliziten Bezugnahme auf
    historische Kunstpositionen. Vielmehr wird nun die Transformationsleistung des Ausstellungsraums
    befragt, das Potenzial, aus den Dingen, die in ihn eingebracht werden, Objekte der Betrachtung nach
    ästhetischen Gesichtspunkten zu machen. Die materielle Basis der neuen Arbeiten Bruckners findet
    sich in den Zusammenhängen der unmittelbarsten Lebensnotwendigkeiten des Künstlers. Wir erkennen
    an den Arbeiten Kleidung, Geschirr, Nahrungsreste, Möbel, Körperflüssigkeit; aber wir sagen
    Malerei, Skulptur, Graphik. Das ist die Umwertung, die jede Art von im weitesten Sinn gestaltetem
    Inhalt im Kunstraum erfahren muss. Die Herstellung eines von jedem anderen Zweck befreiten
    Raums, in dem eben diese Umwertung vollzogen werden kann, ist die wichtigste Errungenschaft
    jener Disziplin, die wir bildende Kunst nennen. Die gezeigten Arbeiten lassen sich als Abstraktionen
    physischer Aktivität lesen, wobei der Fehlleistung bzw. dem Schaden besondere Bedeutung zukommt.
    Der Künstler lässt die Arbeiten mit Ausnahme einer Videos (DVD as a Fireplace, 2006) durchwegs
    unbetitelt, gibt allerdings auf einem in der Ausstellung verfügbaren Saalzettel kurze Beschreibungen
    zur Genese jeder einzelnen Arbeit. Die erwähnte Nutzbarmachung der Fehlleistung lässt sich in jener
    Arbeit in einer Ecke des kleineren Ausstellungsraums erkennen, in der Bruckner alle in seinem Besitz
    befindlichen Socken, von denen er nur mehr jeweils ein Exemplar besitzt, mit Watte ausgestopft
    und zugenäht, zu einem Minimonument einer fiktiven Hall of Fail stapelt. Das Verlieren und/oder
    Vergessen wird zum produktiven Prinzip dieser einzigartigen Sammlung, im Übrigen ausnahmslos in
    Farbtönen von Dunkelgrau bis Schwarz. Jerry Seinfeld, spricht in den 90er Jahren in seinem Bühnenprogramm
    von den Socken als den Outlaws unter den Kleidungsstücken, da sie bei jedem Gang in
    die Münzwäscherei einen Ausbruchsversuch wagen würden, nass an den inneren Rand der Waschtrommel
    gepresst, darauf hoffend, dass ihr Besitzer sie dort übersehen und zurück lassen würde. In
    diesem Sinne wären die ausgestellten Socken Bruckners jene, die unambitioniert zu Hause geblieben
    bzw. von möglichen Waschgängen außer Haus folgsam zurückgekehrt wären. Der Schaden zeigt sich
    wiederum an zwei an der Wand montierten, weißen Tellern, deren zerkratzte Oberfläche zur Zeichnung
    wird, als der chronisch unterschätzte, nichtsdestoweniger hochbegabte Produzent von Ästhetik.
    Im großen Ausstellungsraum am Boden eine Platte aus MDF, die speziell für Bruckners Wohnsituation
    angefertigt, das Stück Parkettboden schützen sollte, das sich unter dem Schreibtischstuhl befindet.
    An eine ältere Arbeit anknüpfend, die ebenfalls im Ve.Sch zu sehen ist, wollte Bruckner die nach
    längerem Gebrauch zerkratzte MDF Platte als Druckstock für eine Graphik nutzen. Die Platte erwies
    sich allerdings als zu hart, und die ihr durch die Bewegung der Stuhlbeine zugefügten Spuren blieben
    für die Intentionen Bruckners zu undeutlich und oberflächlich. Die Platte durchläuft somit verschiedenste
    Stadien der Umwertung, bevor sie ihre Bestimmung als Bodenarbeit in einem Kunstraum
    finden darf. Bestimmend bleibt das Kunstwollen Bruckners, der bei aller tatsächlichen Nützlichkeit
    für die Schonung des Bodens in der gemieteten Wohnung, die endgültige Funktion der Platte für die
    Kunstproduktion immer schon vorhersieht. Dasselbe Produktionsprinzip, allerdings ohne zwischenzeitliche
    Umwidmung des betreffenden Objekts, liegt einer weiteren Wandarbeit zugrunde, die einen
    als Geschirrtuch in Verwendung gewesenen Baumwollstoff, aufgezogen auf einen Keilrahmen zeigt.
    Bruckner liefert in der Werkbeschreibung eine überraschend genaue, an einen Tagebucheintrag erinnernde
    Auflistung all jener Lebensmittel, deren Spuren auf dem nun zur Bildfläche gewordenen Stoff
    zu finden sind. Exakt gegenüber hängt Bruckner einen weiteren Keilrahmen, es ist die größte Arbeit
    der Ausstellung, und mit Hilfe der Beschreibung wissen wir, dass wir Urinspuren auf dem gleichen
    Baumwollgewebe wie bei der gegenüber hängenden Arbeit sehen. Die Klammer zwischen Ernährung
    und Ausscheidung ist geschlossen, wobei das Urinbild sich im Format eindeutig als auszustellende
    Malerei ausweist, während das Bild aus Essensresten die Größe handelsüblicher Geschirrtücher zitiert,
    wenn auch in Form eines Malgrunds aus dem Künstlerbedarf. Komplettiert wird die Ausstellung
    durch ein auf einen Keilrahmen aufgespanntes Hemd, dessen Ärmel an den Seiten des hochformatig
    gehängten Bilds herabhängen, einer resignativen Kritik an der kommerziellen Verwertung der Op-
    Art, eines gerahmten Drucks, der von einem Stück Linoleumboden in situ abgenommen ist und die
    dort befindlichen Kratzspuren von Stuhlbeinen abbildet, sowie einer Videoarbeit.

    Bruckner hat dieInstallation der Arbeiten anhand eines von ihm gebauten Modells der Ausstellungsräume ent-
    wickelt und zentimetergenau nach der eigenen Vorgabe umgesetzt. Entsprechend dieser Methode ist auch
    die Vorgangsweise bei der Kunstproduktion selbst; keine der ausgestellten Arbeiten entsteht aus einer
    momentanen, ästhetischen Verzückung des Künstlers, sondern ist immer das Resultat von Konzept,
    Planung, geduldiger Ausführung. Mit Ausnahme des (ungetragenen) aufgespannten Hemds und
    der gefundenen DVD sind alle Arbeiten Ergebnis einer über einen längeren Zeitraum vollzogenen
    Handlung, zum Teil im Bewusstsein ausgeführt, Kunst zu produzieren, zum Teil werden die Spuren
    oftmaligen Gebrauchs nachträglich zum Argument für den Kunststatus eines Objekts. Berührt
    werden damit Überlegungen zum Künstler als nur teilweise bewusstem Schöpfer seiner Arbeit, denn
    Kratzspuren von Stuhlbeinen auf dem Boden oder Metallabrieb auf Tellern lassen sich auch vortrefflich
    mit Ergebnissen neurotischer Zwangshandlungen in Verbindung bringen. Selbst wenn das nicht
    geschieht, bleiben eingewöhnte Aktivitäten als etwas verständlich, das nur teilweise bewusst gesteuert
    ist. Christoph Bruckner erhält seine Souveränität natürlich in jenem Moment zurück, in dem er die
    Arbeiten für die Ausstellung auswählt, und mittels kleinerer und größerer Koketterien die Wirksamkeit
    des Ausstellungsraums überprüft. Es scheint eine stimmige Strategie für jemanden zu sein, der
    im Ausstellungstitel auf den Umstand anspielt, dass die Kontinuität des Produzierens und Ausstellens
    bereits erheblich unterbrochen, zynischer interpretiert bereits zu einem Ende gelangt war. So erscheint
    diese neuerliche Untersuchung als Grundlage für alles Folgende. Im großen Raum schließlich noch
    die Videoarbeit, die ein Kaminfeuer zeigt, das etwa eine Stunde von einer fix positionierten Kamera
    aufgenommen ist. Es ist die älteste Arbeit der Ausstellung und nimmt als einzige explizit Bezug auf
    eine historisches Vorbild, nämlich „TV as a Fireplace“ von Jan Dibbets aus dem Jahr 1969, für das
    Fernsehen entwickelt und auch dort ausgestrahlt. Das Video Bruckners ist gleichsam die viel später
    entstandene, billige Kopie davon, ein Readymade, eine gekaufte DVD, deren Intention die Schaffung
    einer wohligen, beruhigenden Atmosphäre durch die mediale Vermittlung der Erfahrung von
    Wärme ist. Eine gleichartige DVD war im Übrigen 2010 Teil der Innenausstattung im Swingerclub
    von Christoph Büchel in der Secession. Die DVD Bruckners verfehlt ihre kommerziell verwertbare
    Wirkung nicht; selbst im strengen Licht des Ausstellungsraums kann bei Anwendung des gelernten
    Rezeptionsverhaltens in Ausstellungen, also der Konzentration auf den Bildschirm, die intendierte,
    meditative Ruhe und Entspanntheit empfunden werden. Die Erfahrung dieser Wirkung ist jedoch
    mit keinerlei Prestige im Kunstdiskurs verbunden, sie ist nicht als außergewöhnliche, interessante
    Wahrnehmung zu kommunizieren. Lediglich unter Einschaltung der Ironie kann der Prestigeverlust
    verhindert werden. Ich habe es also mit einer Arbeit zu tun, die in einem kommerziellen Verwertungszusammenhang
    entsteht, vom Künstler ausgewählt und in den Ausstellungsraum geholt wird,
    deren Wirkung bei kunstüblicher Rezeption dem im Ausstellungsraum erwünschten Wissens- und
    Erkenntnisgewinn allerdings zuwiderläuft, weswegen ich, wie erwähnt beispielsweise mittels Ironie,
    Distanz herstellen muss, um wieder zum diskursrelevanten Denken und Sprechen über die Arbeit
    fähig zu sein.

    Während ich über die Arbeit schreibe, sehe ich sie nicht, ich kann also über ihre intendierte
    und ihre tatsächliche Wirksamkeit und der Bedeutung derselben nachdenken, bzw. mich daran
    erinnern, wie sie an mir wirksam geworden ist, ohne der Wirkung unmittelbar ausgesetzt zu sein
    (wenn ich es denn jemals war). Die DNA des Kunstbegriffs lautet „Bildung durch Schönheit“,
    und in einer schadenfrohen Finte bedient Bruckner unsere Empfänglichkeit für Zerstreuung und
    gedanklicher Abwesenheit, getarnt als Erkenntnis und damit Sozialprestige verheißende Videoarbeit
    in einem Ausstellungsraum. Zugleich berührt er damit die einzige wirkliche Bedrohung des institutionalisierten,
    der bildenden Kunst gewidmeten Ausstellungsraums: den Wunsch nach optischer
    Sensation und Zerstreuung. In dem Moment, in dem das Konzept von kommerziell nicht verwertbarer
    Bildung für eine möglichst große Anzahl von Menschen, welches ausschließlich durch die Idee der
    Öffentlichkeit gestützt und somit nur durch den Staat in Form von Gesetzen gewährleistet werden
    kann, für die Programmatik des Ausstellungsraums unbedeutend wird, sich zugleich kommerziell sehr
    einfach zu steuernde Unterhaltung und Zerstreuung auch im Ausstellungsraum zu den bestimmenden
    Zielsetzungen entwickeln, schafft sich die bildende Kunst als Institution der Gesellschaft ab und
    wird das von privaten Launen abhängige Spielzeug der gesellschaftlichen Elite, so wie vor der Französischen
    Revolution, dem Anfang der Moderne. Ob Christoph Bruckner das weiß? Ja, er weiß es.
    Weißt du es? Der Großteil der heute Kunst Produzierenden hält Kunstinstitutionen wie das Museum
    für eine Selbstverständlichkeit und nicht für die Errungenschaft einer geistigen und institutionellen
    Revolution. Die Verteidigung von Kunst als öffentlich geschützte, Bildung generierende und damit
    sich selbst genügender Beschäftigung mit den materiellen und geistigen Möglichkeiten von Ästhetik
    wäre die größte Aufgabe für Kunstschaffende der nächsten Jahrzehnte. Es gibt nur keinerlei Aussicht
    auf Erfolg, da Kunstschaffende wie alle Menschen käuflich sind und diejenigen, die durch Verbrechen
    wie Lohndumping zu Geld gekommen sind und Kunst für Geldwäsche brauchen gewinnen werden,
    bzw. schon gewonnen haben. Selbst unsere Akademie hier in Wien wollte schon zig Diplomarbeiten
    über den Atlantik verschiffen und in Rio de Janeiro ausstellen und versteigern lassen, weil die Kohle
    nun mal gestimmt hätte. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das tatsächlich funktioniert.
    Was das alles mit der Ausstellung „Broken Play“ von Christoph Bruckner im Ve.sch zu tun hat?
    Alles, du alter Hipster, alles. F.Z.




    P.S. Christoph Bruckner ersetzt eine Woche nach der Eröffnung und bereits nach Entstehung des vorliegenden
    Texts die Videoarbeit DVD as a Fireplace durch eine neue, unbetitelte Videoarbeit. Ich möchte den Text allerdings,
    wie er nach dem Eindruck der ersten Version der Ausstellung entstanden ist, unverändert lassen