Ve.Schheft Nr.16

    Josip Novosel installiert acht neue und speziell für diese Ausstellung
    produzierte Arbeiten im großen Raum des Ve.Sch, lässt
    zugleich den kleinen Ausstellungsraum leer. Alle Arbeiten sind
    aus denselben Überlegungen entwickelt, sind Teil derselben
    Werkgruppe, und können in ihrer Zusammenstellung im Raum
    durchaus auch als eine einzige Arbeit gelesen werden. Novosel
    bedient sich in der Ausstellung verschiedenster Medien, Materialien
    und Stile, und so lässt er bewusst den Eindruck entstehen,
    es würde sich um die Arbeiten verschiedener Künstler handeln.
    Wir sehen gefundene, bearbeitete Objekte, eine Leinwand, eine
    Fotografie-Assemblage, unaufgeregt verteilt, an der Wand hängend
    und im Raum stehend. Die benutzten Formensprachen
    reichen von zurückhaltend und minimalistisch bis trashig und
    verspielt, und mitunter erinnern bestimmte Arbeiten bewusst
    an die etablierten Stile von etablierten KünstlerInnen. Die an
    der Wand hängende Leinwand zitiert Michael Krebber, die am
    Boden stehende Banane aus Papiermache Franz West. Doch es
    gibt eine sowohl inhaltlich wie auch formal fungierende Klammer,
    die im Ausstellungsraum ungewöhnlich viel Präsenz beansprucht:
    es sind auf Papier ausgedruckte Texte, genauer Beschriftungen
    oder Erläuterungen, und mit einer einzigen Ausnahme
    gehört zu jeder ausgestellten Arbeit eines dieser Textblätter im
    A4 Format, die einheitlich auf rohen, gehobelten Holzbrettern
    montiert sind. An die Wand gelehnt und in räumlicher Nähe zu
    den dazugehörigen Arbeiten, erinnern sie ganz selbstverständlich
    an Werkbeschreibungen, wie sie in jedem Museum, in beinahe
    jedem Ausstellungsraum zu finden sind. Es scheint zunächst
    nicht ganz klar, ob es sich bei den eigenwilligen Texttafeln um
    Teile der ausgestellten Arbeiten handelt oder nicht. In erster
    Linie ist es der Kontext des nichtkommerziellen, von Künstler-
    Innen programmierten Ausstellungsraums Ve.Sch, der nahe legt,
    dass es sich wohl eher nicht um die in Institutionen üblichen,
    von KuratorInnen verfassten, die Arbeiten erläuternden Texte
    handelt. Natürlich sind es nicht zuletzt die von Josip Novosel
    stammenden Texte selbst, genauer deren formale und inhaltliche
    Eigenheiten, die beim Lesen schnell klären, dass es keine professionellen
    Texte sind. In einer wilden Mischung aus vorwiegend
    schlechtem Englisch und eingestreutem Deutsch, Grammatik
    und Rechtschreibung großzügig umgehend, erzählen sie kurze
    Geschichten, geben Gedankengänge Novosels wieder, allerdings
    oftmals ungeduldig und sprunghaft assoziierend. Sie
    umschreiben das Konzept, das den Arbeiten zugrunde liegt,
    ohne es eindeutig zu klären. Das Konzept sind bei Novosel wie
    bei jedem Konzept Worte, tatsächlich eher einzelne Wörter, die
    den Ausgangspunkt für die Formfindung bilden. Die gewählten
    Wörter werden in einer Art von bildnerischer Pantomime
    in Bilder oder Objekte übersetzt: Die Lösung der gesuchten
    Übertragungen findet Novosel in verglichen mit den Ausgangsworten
    gleich oder ähnlich lautenden Bezeichnungen für die
    von ihm gefundenen Bilder bzw. Objekte. Was sich schriftlich
    korrekt nur ungelenk und schwer verständlich beschreiben lässt,
    ist eigentlich ein Spiel, in dem konventionelle Wort-Objekt
    Beziehungen neu gesetzt werden. So übersetzt Novosel beispielsweise
    das englische Wort Dash, in diesem Fall die Kurzform des
    männlichen Vornamens Dashiell, in Form eines am Boden des
    Ausstellungsraums platzierten, gefundenen Armarturenbretts,
    auf Englisch Dashboard. Weiters übersetzt er das englische Wort
    Snow, zu Deutsch Schnee, in auf das Armaturenbrett mittels
    Schablonen aufgesprühte, stilisierte Schneeflocken. Wozu? Das
    Wort Dash ergibt gemeinsam mit dem Wort Snow im Zusammenhang
    der Kunstwelt Sinn: es ist der Name eines
    amerikanischen Künstlers, Dash Snow. Warum Novosel gerade
    seinen Namen wählt, so wie er für alle im Ve.Sch gezeigten
    Arbeiten Namen von Künstlern und Künstlerinnen aus Ausgangsmaterial
    wählt, sei dahingestellt. Persönliche Vorliebe,
    Respekt für die Arbeit oder vielleicht das Gegenteil, Status der
    genannten Personen im Kunstbetrieb, das alles spielt eine Rolle.
    Viel wichtiger ist jedoch die Funktion der Künstler-namen als
    Platzhalter für eine im Kunstbetrieb verständliche und verstandene
    Information, eine Wissenseinheit, bestehend aus zwei
    Worten, Vor- und Nachname, bei deren Nennung bestehende
    Assoziationen und Erinnerungen aktiviert werden, die in einem
    bestimmten Kontext als allgemein bekannt be-griffen werden
    können; sinnvolle Information also. Der Künstler wählt bekanntes,
    sprachliches Material, auf das er durch seine neuen
    Arbeiten Bezug nimmt. Damit behandelt Josip Novosel in einer
    spielerischen Geste, ohne den Anschein von Anstrengung ein
    gewichtiges Problem, zumal eher ein Problem der Kunstproduzierenden.
    Es lässt sich beispielsweise durch die Fragestellung
    „Wie komme ich zur Form?“ bzw. „zu einer eigenständigen
    Form“, weiters durch „Wie kann ich auf Bekanntes Bezug nehmen
    und zugleich Neues schaffen?“ erhellend auf den Punkt
    bringen. Es sind also nichts weniger als mit die grundsätzlichsten
    Fragen ästhetischer, künstlerischer Produktion, aufgeworfen
    und behandelt durch ein Sprachspiel. Novosel gelingt darüber
    hinaus die Freilegung dessen, was ich als Grundstruktur von
    Konzeptkunst bezeichnen möchte: Die Zurückführung
    ästhetischer Inhalte auf Sprache, oder genauer auf Worte. Die
    Produktionsmethode von Konzeptkunst sieht vor, dass ich die
    materielle Form eines Kunstwerks, also seine an bestimmte Materialien
    gebundene Ausführung, durch Sprache bereits vor der
    Herstellung des Werks möglichst vollständig beschreiben kann.
    Genau diese gedankliche Bewegung findet sich bei den Arbeiten
    von Josip Novosel für die Ausstellung im Ve.Sch wieder: Der
    Ausgangspunkt der zuvor beschriebenen Arbeit ist die Wortfolge
    Dash Snow, ihre materielle Ausführung ein weiß besprühtes
    Dashboard mit Schneeflockenlogos. Das Wortmaterial bestimmt
    also das physische Material. Eine bemerkenswerte historische
    Analogie zu jener ästhetischen Denkfigur findet sich in den in
    der Heraldik als „redend“ be-zeichneten Wappen: so sehen wir
    beispielsweise im Stadtwappen von München einen Mönch,
    im Wappen der Stadt Berlin einen Bären, und die Stadt Lyon
    führt einen Löwen im Wappen; es gibt eine Vielzahl derartiger
    Beispiele von Wappen, in denen sich Sprache und Bild sinnhaft
    überlagern, historisch wird sich mal Ersteres aus Zweiterem, mal
    wird es sich umgekehrt ergeben haben. Diese zwei Methoden,
    zuerst die Form, dann das Wort versus zuerst das Wort, dann die
    Form scheinen sich ja mitunter unversöhnlich gegenüberzustehen,
    und in vermutlich jedem Atelier hat sich das verbissen-zweifelnde
    Abwägen dieser beiden Denkwelten abgespielt. Novosel
    entwickelt in seiner Installation eine bemerkenswerte Lösung für
    diese Problematik, bewusst unschuldig und naiv, hölzern ungelenk,
    jedenfalls nicht anmaßend eloquent oder gleich die gesamte
    Kunstgeschichte als Zeugin aufrufend. Alle sind eingeladen
    mitzuraten, welcher Name sich denn nun hinter dieser einen
    Arbeit da links verbirgt. Bleibt noch abzuwägen, wie wichtig
    dieses Wissen, also die „Auflösung“ für das Verständnis der
    Arbeiten ist. Die Präsenz der Texte im Ausstellungsraum halte
    ich in eben jener gezeigten, sich viel Raum nehmenden Form
    für essenziell. Es sind eben diese gleich gestalteten Texttafeln, die
    aus den Arbeiten Arbeiten unter Anführungszeichen machen:
    sich viel Raum nehmenden Form für essenziell. Es sind eben
    diese gleich gestalteten Texttafeln, die aus den Arbeiten Arbeiten
    unter Anführungszeichen machen: Kunstwerke, die zugleich
    wie Platzhalter für Kunstwerke verstanden werden können. Die
    Erläuterungen im Ausstellungsraum aktivieren auf Kunst und
    Ausstellungen bezogene Seh- und Rezeptionsgewohnheiten, und
    da wo erläuternde Texte sind, muss auch Kunst sein. So ist es
    möglich, sich auf sehr angenehme Art vom Gezeigten zu distanzieren,
    es als Vorschlag oder als eine vielleicht zufällige Variante
    zu begreifen. Kunstproduzenten mögen das; Keine definitive
    Form oder die eine perfekte Lösung, sondern eine Arbeit, aus
    der ich gedanklich gleich zehn machen kann, das fühlt sich
    ökonomisch und zugleich produktiv an. (F.Z.)