Siggi Hofer

GIFT BASKET
16.10. – 05.11.2020

Im Gefüge des Gift Basket:
«Arnold Berger



Worker, 2020
Lack auf MDF
70×70 cm














Installation view:
Gift Basket (variable) for Ve.Sch, 2020

Freie Sammlung Wien #16
Objects (aeroplanes):
CONTINENT THREE COLORS/ 31, 2019
CONTINENT TWO COLORS/ 32, 2019
CONTINENT ONE COLOR/ 38, 2020











Gift Basket (variable) for Ve.Sch, 2020










Detailansicht













GIFT BASKET

Life is like a


Wenn wir in die Natur hineinsehen, zeigt sie sich uns in Farben, Formen und Gerüchen. Nichts, kein Tier, kein Strauch, keine Frucht, keine Blume, ist ohne sie. Und je mehr wir hineinsehen, desto mehr erkennen wir an Mannigfaltigkeit und Menge. Wie es uns scheint, ist das Reich der Farben und Motive unübersehbar, reichhaltig und vielgestaltig, so dass man genötigt ist, zu unterscheiden, zusammen- zustellen, eine Auswahl zu treffen, um ein geordnetes Bild zu erhalten.

Das Licht als solches ist es, das uns die Farben sichtbar macht – sie vor unseren Augen auf magische Art erscheinen lässt. Schachteln werden gestapelt oder aufgerissen. Produkte werden geschlichtet. Auserwählte weich gebettet.
Ganz tief unten liegt die Erinnerung und wird ständig aufs Neue von anderen Delikatessen überlappt. Die Regel ist es, die schweren Sachen unten und die leichten oben zu platzieren, um die leichten nicht zu erdrücken. Immer die schöne Seite nach oben gedreht,
denn die Etiketten sind dann les-und sichtbar, die Motive springen förmlich ins Auge und leuchten in den schönsten Farben. Die Orange, die Kirsche, die Traube auf der Flasche und Dose und Schachtel buhlen um Aufmerksamkeit und konkurrieren miteinander. Nur die Ananas und das eingeschweißte Stück Speck sprechen für sich und ruhen in Eintracht und friedlicher Nachbarschaft. Langsam nachganz unten, direkt durch die Holzwolle, sickert das Schwere, der Stein auf der Brust, die Last auf der Seele, das Kreuz, das alle zu tragen haben, die Whiskyflasche, der Flachmann und der besonders gute Tropfen, das Stereotyp, überzogen mit bitterer, tiefschwarzer Schokolade.
Noch tiefer liegt das verloren und vergessen Geglaubte. Aber auch das Pathos und der Kitsch – der von der schweren Sorte – und das Nicht-aus-der-Haut-Können und der Schmerz des Schweigens bzw. der Ärger, geschwiegen zu haben. Alles, was einfach nie mehr gutzumachen ist. Aber auch das im falschen Moment zur falschen Person mit falscher Betonung Gesagte und die nachgespielten Szenen, die völlig sinnlos und doch nur quälend sind … Und die zu große Entfernung im entscheidenden Moment. Das Unvermögen und die Blamage tummeln sich da unten genauso wie das Versagen und die Aggression und die dabei gesetzte Handlung. Wenn man ganz tief hineingreift, mit dem gesamten Arm hineingeht, ertastet man den roten Kopf und das grüne Gesicht, die geballte Faust, die flache Hand, das spitze Knie, den Fuß und den Kopf, der so hart wie eine Nuss und außer Rand und Band geraten ist.
Die ganze Familie hat sich dort unten eingerichtet, lauert und wartet auf den richtigen Moment, um sich den Weg durch die Holzwolle wieder nach oben zu bahnen. Die Koffer stehen im Flur. Sie wären vergebens gepackt, würde die Familie es – aus ihrer Sicht erfreu- licherweise – gar schaffen, dich in einem Moment der Unachtsamkeit zu greifen und mit nach unten in ihre Mitte zu ziehen. Dann würdest du wieder, begleitet vom Rattern der Nähmaschine, auf dem Diwan in der Küche sitzen und dir die Augen leerweinen. Auch der Vater, der nur ein Abbild auf einem aus der Lade gezogenen Foto ist, hat sich da unten am Grunde festgekrallt. Seine Kleidung ist voll mit Staub von der Arbeit des Tages. Seine Müdigkeit verleiht ihm diese Lässigkeit beim Lehnen und Stehen an der Bar. Seine Jeans könnten enger nicht sein, sein Brusthaar nicht üppiger aus dem weit geöffneten Hemd ranken. Ein ganzer Raum tut sich auf, eine Männerbar inklusive Schweiß und Biergeruch. Der Vater mimt den Verführer. Mit der Hand im Schritt. Gleich im Raum daneben ein riesiges Atelier. Und mittendrin: ein Suchender mit Pinsel in der Hand, mal aus dem Fenster, mal in sich hineinschauend, und egal, was er sich ausdenkt, und egal, was er auf die Leinwand bringt – ob es die Katze, der Krug oder etwas von hinten oder oben ist, ob es die Landschaft, der Obstkorb, das Stillleben oder das Porträt der Großmutter ist –, er malt doch nur sich selbst. Die Mutter, der Leucht- turm, die Dirigentin, die Würde überblickt dabei alles und ist unsichtbar, wenn es vonnöten ist. Und die Frucht ihres Leibes, das Kind, das die Phantasie gepachtet hat und im Zigarettenrauch sich ständig wandelnde Figuren sieht, war dort unter Männern und ist jetzt, so viele Jahre später, wie die Mutter und überschlägt das Bein wie sie.
Der Bürgermeister bringt eilig einen Blumenstrauß vorbei und nimmt sich dann doch etwas Zeit. Dieser üppige Strauß tat wieder eine neue Welt auf, so wie auch das Konfekt, das in die Schachtel eingeordnet vor sich hingammelte all die Jahre. Noch prächtiger ist der auf der Schachtel abgebildete Blumenstrauß. Mit jedem Jahr verblasst er mehr und mehr, doch wenn man mit der Hand darüberstreicht, dann kann man ihn fühlen wie eh und je.
An jeder Ecke, durch jede Ritze – auch wenn man sich ganz nach unten gegraben hat – duftet es nach Kaffee. Ganz, ganz unten ist die Temperatur perfekt und gleichbleibend. Man denkt einfach nicht über sie nach. Rundherum leuchten die Farben. Farbnuancen bestimmen über deinen Gefühlszustand, stimmen fröhlich und betrüben. In der Vorstellungskraft kann der Mensch in der größten Dunkelheit die hellsten, kräftigsten und angenehmsten Farben an sich vorüberziehen lassen. Hat sein Auge nämlich einmal in dieses Sammelsurium von Farben hineingeblickt, bleiben diese für immer haften, und in Momenten der Wachheit wird der leiseste Anstoß von Lichteinwirkung ihn dazu bringen, eine Auswahl zu treffen, nur diese eine Farbe zu sehen, die besonders bedeutsam für ihn ist. Alles zieht wie auf dem Fließband an ihm vorbei. Mit Gerüchen und Empfindungen verhält es sich ebenso. Die flache Hand, die mitten im Gesicht landet und doch das Herz trifft, ist wieder Gegenwart. Doch das Mitleid gilt dem Kind, das es nicht mehr gibt. Das Kind, das die unverbildete Gabe hat, sich ganz so zu freuen, dass es rundherum alle Herzen zerreißt und imstande ist so bitterlich zu weinen, dass die Tränen das Meer sprichwörtlich zum Überlaufen bringen. Aber der Wunsch und die Faszination gelten primär nicht der Überflutung, sondern viel mehr der Feuersbrunst. Der Traum vom Feuer, das das Haus bis auf die Grundmauern zerstört, der Traum von der darauffolgenden Botschaft, die besagt, dass die ganze Familie bis auf einen selbst elend zugrunde gegangen ist, erwacht aufs Neue. Schreie hätte man noch hören können … Jede Hilfe war vergebens, und dann endlich kam der langersehnte Augenblick, der Höhepunkt, für den sich alles gelohnt hatte, als die Nachbarin die Hand auf des Kindes Schulter legt, so ihr tiefes Mitgefühl signalisiert und dazu den unauslöschlichen Satz aus sich heraus seufzt: „Du arme Kreatur.“ Einstweilen liegt das Paradies aber im Hohlraum, hinter den im Keller abgestellten Fensterrahmen. All diese Vielfalt aus Vergangenheit und Gegenwart, die hier gesammelt und drapiert ist, eröffnet sich als Farbenmeer. Die Freude über die Ordnung und Übersichtlichkeit erhellt die innere Struktur. Über das Auge lässt man den Eindruck direkt in den seelischen Bereich eingehen und erzeugt genau dort Schwingungen, die froh machen und lebensbejahend sind. Das Leben als geflochtene Trophäe, reich gefüllt mit den Spezialitäten aus aller Welt, überreicht mit besten Wünschen und im knisternden Zellophan.


Siggi Hofer